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Wurf

Shooting – der wichtigste Skill im Basketball

Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits gehören Distanzwürfe zu den effizientesten Abschlüssen im Basketball. Gleichzeitig eröffnet das hochprozentige Treffen von Würfen eine unglaublich große Palette andere Optionen.

In der NBA hat in den letzten Jahren eine Revolution stattgefunden: Als in der Saison1979/80 die Dreierlinie eingeführt wurde, war nur etwa jeder zwanzigste Wurf ein Dreier. Heute: Mehr als jeder dritte! Und Analysten wie Kirk Goldsberry, Autor des Buches „Sprawlball“, gehen davon aus, dass es im Jahr 2025 über die Hälfte sein wird.

In diesem Artikel möchte ich euch etwas über den wichtigsten Skill im Basketball erzählen: Werfen. Aber warum ist der Wurf in der NBA eigentlich so wichtig? Und was bedeutet das für uns als Trainer, die nicht auf NBA-Niveau trainieren?

Zur ersten Frage: Dafür gibt es zwei Gründe. Einerseits gehören Distanzwürfe zu den effizientesten Abschlüssen im Basketball. Gleichzeitig eröffnet das hochprozentige Treffen von Würfen eine unglaublich große Palette andere Optionen. Shooting ist der Schlüssel, der ganz viele andere Fähigkeiten im Basketball erst „aufschließt“.

Aber der Reihe nach.

1. Warum Distanzwürfe in der Regel gute Würfe sind

Ist das ein guter Wurf? 

Und wenn ja: Was macht eigentlich einen guten Wurf aus?

Eine Prämisse dieses Artikels lautet, dass ein Wurf dann gut ist, wenn er möglichst viele Punkte generiert. Es gibt andere Kriterien – etwa ästhetisch ansprechenden Basketball zu präsentieren oder das Gefühl eines Teamspiels zu stärken – aber diese lassen wir für diese Betrachtung zunächst einmal außen vor.

Um die Erfolgswahrscheinlichkeit von Abschlüssen zu beschreiben, gibt es viele verschiedene Methoden und Kennziffern im Basketball. In der Regel wollen wir voraussagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein vergleichbarer Abschluss zu Punkten führt. Die einfachste Kennziffer ist sicherlich die Wurfquote. Wenn Spieler A 100 Würfe nimmt – wie viele wird er davon treffen? Die Wurfquote blendet jedoch viele Dinge aus: Unterschiedliche Würfe geben im Basketball unterschiedlich viele Punkte. Dazu kommen Nebeneffekte. Bei einem Korbleger kann ich gleichzeitig gefoult werden, ein Dreipunktewurf gibt im Erfolgsfall mehr Punkte als ein Wurf aus der Mitteldistanz.

Das ist der fundamentale Fehler der Wurfquote. Es ist nämlich gar nicht so entscheidend, wie häufig ein Spieler einen Wurf trifft, sondern wie viele Punkte er mit diesem Wurf erzielt. Ein Rechenbeispiel: Spieler A trifft 5 von 15 Distanzwürfen. Spieler B trifft 7 von 15 Würfen aus der Mitteldistanz. Welcher Spieler hat besser geworfen? Die Antwort muss in diesem Fall Spieler A lauten, denn er hat 15 Punkte erzielt gegenüber von nur 14 Punkten bei Spieler B erzielt. Spieler A hat 1,0 Points per Possession (PPP, also Punkte pro Abschluss oder Ballbesitz) erzielt. Spieler B erzielt nur 0,93 PPP.

Simple Rechenbeispiele wie diese lassen sich auf NBA-Basketball übertragen und mit Zahlen untermauern. Eine einzige NBA Offensive erspielte in der abgelaufenen Saison einen Wert  von über 1,0 Punkte pro Ballbesitz im Halbfeld – die Dallas Mavericks. Alle anderen Teams lagen deutlich darunter. Und die durchschnittliche Dreierquote? 35,7 Prozent, also 1,07 PPP. Ein NBA-Ballbesitz, der mit einem Dreier endet, ist damit deutlich effizienter als der Durschnitt aller Abschlüsse zusammengenommen. Besonders Dreier aus den Ecken und aus dem Catch-and-Shoot sind noch einmal deutlich effizienter.

Um noch einmal das obige Beispiel von James Harden aufzugreifen: In der abgelaufenen Saison traf Harden 37,3% seiner Stepback-Dreier, was zu 1,12 PPP führt. Das bedeutet, dass diese Würfe effizienter sind als eine durchschnittliche NBA-Offensive, ohne dass weniger talentierte Mitspieler den Ball erhalten müssen oder die Gefahr für Turnover besteht. 

Ein guter Wurf? Na klar!

2. Warum Distanzwürfe das Spiel öffnen 

Distanzwürfe sind also in der Regel effiziente Abschlüsse. Das drückt den Wert guter Schützen aber noch nicht einmal ansatzweise aus. Denn Shooting öffnet das Spiel. Auf Teamebene spricht man von Spacing, auf individueller Ebene von der Gravity, der Gefahr, die ein Spieler durch seinen Distanzwurf ausstrahlt.

Gravity bedeutet, dass Verteidiger einem Angreifer weniger Platz geben wollen, aus Angst, dieser könnte einen Distanzwurf loswerden. Das zeigt sich auf verschiedenen Ebenen: Verteidiger laufen härtere Closeouts, stehen enger im Deny und sinken weniger weit auf die Helpside ab. Das kann wiederum der Angreifer ausnutzen. Extrem aggressive Verteidiger können leichter aus dem Dribbling geschlagen werden, harte Closeouts können leichter attackiert werden, aggressive Deny-Defense kann per Backdoor-Cut bestraft werden. 

Das Paradebeispiel für individuelle Gravity in der NBA ist Steph Curry. Gegnerische Defenses richten ihre Verteidigungsstrategie an Curry aus, sobald er die Mittellinie überquert. In der folgenden Szene sieht man, wie Curry die extrem aggressive Verteidigung seines Gegners bestraft.

Harden verteidigt nach dem Switch des Pick-and-Rolls extrem eng, um Currys Pullup-Dreier zu erschweren. Curry kann so einfach per Dribbling vorbeiziehen und per Korbleger abschließen – auch wenn er diesen dann verlegt.

Dazu ein paar weitere Zahlen und eine rhetorische Frage: Wer ist der bessere Finisher am Korb – Steph Curry oder Kyrie Irving? Die Antwort ist deutlich: Curry. Über die Karriere gesehen trifft Curry Abschlüsse am Ring zu 64%, Irving nur zu 60%. Aber wir kennen doch alle die Videos, wie Irving unmögliche Abschlüsse gegen mehrere Verteidiger trifft und aus allen Winkeln erfolgreich abschließen kann! Ja. Aber es gehört eben gerade zu Currys Stärken, dass seine Verteidiger nicht am Korb stehen, weil sie ihm an der Dreierlinie auf den Füßen stehen. Currys Shooting öffnet diesen Aspekt seines Spiels erst, wie wir im Video oben gesehen haben.

Gravity hilft aber auch den Mitspielern. In der Regel sinken Verteidiger von guten Schützen nicht zu weit in die Helpside ab, sind weniger aggressiv in der Pick-and-Roll-Defense und erschweren es so der Verteidigung, den Korb zu beschützen und Druck auf den Ballhandler auszuüben. Der Wert guter Schützen geht somit weit über das hinaus, was sie allein mit ihren eigenen Distanzwürfen anrichten. Ein guter Schütze auf der Weakside ist die beste Ablenkung, die sich ein Ballhandler wünschen kann.

Auch hierbei gehört Steph Curry zu den Meistern.

Bei dieser Szene sollte man dringend einmal auf Currys Verteidiger Austin Rivers achten. Aus Angst vor Currys Shooting verteidigt der den Screen für Kevin Durant quasi gar nicht. Das Resultat: Durant ist völlig frei am Korb, Pass, Foul, Freiwürfe. Curry kriegt in dieser Szene nichts aufgeschrieben, keinen Punkt, kein Assist, aber sein Shooting ist es, das dieses Play erst möglich macht.

3. Warum Shooting der wichtigste Skill in der NBA ist

Aber macht das Shooting wirklich zum wichtigsten Skill im Basketball? Was ist mit der Rim Protection eines Rudy Goberts? Den Playmaking eines LeBron James? Dem Drive eines Giannis Antetokounmpo? Man kann sicherlich die These vertreten, dass die Fähigkeit der ersten Offensivoptionen der Top-Teams, Offensive für sich und andere zu generieren, wichtiger für Erfolg auf dem höchsten Level ist. Shooting wirkt dagegen eher in der Breite.

Die meisten NBA Teams haben nicht mehr als zwei oder drei wirklich gute Playmaker im Kader. Gleichzeitig auf dem Feld stehen davon meist nur zwei oder manchmal sogar nur einer. Den Ball in der Hand hat sowieso nur ein Spieler. Shooting dagegen ist ein Skill, der von jedem einzelnen Basketballspieler beherrscht werden kann – und sollte. Egal ob Big Man, Aufbauspieler oder Scorer auf dem Flügel, ob Superstar oder Rollenspieler – Werfen gehört heute zu den grundlegenden Fähigkeiten jedes Basketballspielers. Jeder einzelne Spieler auf jeder Position und in jeder Rolle würde von einem auch nur leicht verbesserten Distanzwurf direkt profitieren. Das unterscheidet das Shooting von allen anderen Fähigkeiten im Basketball. 

4. Und was bedeutet das für mich als Trainer?

Diese Erkenntnisse beschränken sich mitnichten auf NBA- oder Profibaskteball. Üblicherweise fungieren die Top-Ligen im Basketball als Trendsetter für die unteren Ligen und den Amateurbereich. In den letzten Jahren haben wir in der NBA zum Beispiel den Trend erlebt, kleinere, besser ausgebildete Spieler auf den großen Positionen spielen zu lassen anstatt größeren, physisch starken Spielern (Small Ball oder Skill Ball). Die Golden State Warriors von 2015/16 spielten bei ihrem Titelgewinn in ihren besten Phase ohne einen Spieler, der größer war als 2,03 Meter. Diese Entwicklung schlägt sich mittlerweile auch in den unteren Ligen bis hin zum Regionalliga- oder Oberliga-Bereich durch. Als Faustregel gilt: Je höher die Qualität und Professionalität einer Liga ist, desto schneller setzen sich die Entwicklungen aus den Top-Ligen auch in diesen durch.

Aber selbst in den untersten Ligen sind diese Entwicklungen auf die Dauer unaufhaltbar. Die Mathematik aus Punkt 1 bleibt auch im Regionalliga- oder Jugendbereich die gleiche, genauso wie die in Punkt 2 beschriebenen Verhaltensweisen der Verteidiger. Selbst wenn sich ein Trend aus dem Profibereich erst in zehn Jahren wirklich in der eigenen Liga zeigt: Die Spieler, die jetzt die Jugendmannschaften durchlaufen, sollen genau dann wichtige Rollen einnehmen und Leistungsträger sein.

Und die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Junge Spieler müssen zum einen – natürlich –  Werfen lernen. Aber es gibt noch viele andere Bereiche, in denen ich meine Spieler schulen kann: Wie kann ich mich so bewegen, dass mein Shooting Räume für meine Mitspieler öffnet? Wie kann ich die besten Werfer verteidigen? Und wie ist eigentlich die Mathematik, die Basketball-Theorie, die hinter allem steht? Um Spielern die Geheimnisse und den Wert guten Shootings nahezubringen, muss ich diese erst einmal selbst verstehen.

Gerade als Jugendtrainer, aber auch in allen anderen Bereichen, sollte man immer ein Auge für die aktuellen Entwicklungen im Basketball auf dem höchsten Level haben. Und die prägende Entwicklung des NBA-Basketballs, aber auch in der Euroleague oder den Nationalmannschaften ist gerade nun einmal die wachsende Bedeutung des Shootings. Deswegen ist Shooting für mich der wichtigste Skill im Basketball – und sollte auch in der Spielerausbildung einen dementsprechend großen Raum einnehmen.

Autor: Julian Wolf

Twitter: @jul_flow

Passionierter Basketballer, Trainer, Schreiber, Fan

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